• Wo die Geige klingt wie ein Orchester: Sergey Khachatryan spielt Eugène Ysaÿe.

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    By Susanne Stahr

    Vor rund 100 Jahren legte der große belgische Violinvirtuose Eugène Ysaÿe sechs Solosonaten vor als Antwort auf die Sonaten Bachs. Die jüngste Aufnahme stammt von Sergey Khachatryan. Sie unterscheidet sich von allen anderen schon deshalb, weil Khachatryan auf Ysaÿes eigener Geige spielt.

    Ein Happening auf der Geige

    Eugène Ysaÿe eröffnet seine zweite Solosonate mit einem Bach-Zitat – und führt uns in die Irre. Denn was folgt, ist ein Happening auf der Geige, das gleich ins „Dies irae“ mündet.

    Wir erleben hier einen Virtuosen im Duell mit seinem Instrument und seinen großen Vorgängern. So hat es Ysaÿe komponiert, und so spielt es der armenische Geiger Sergey Khachatryan.

    Khachatryan spielt Ysaÿes eigenes Instrument

    Khachatryan hat die sechs Solosonaten auf Ysaÿes eigenem Instrument aufgenommen, einer Guarneri del Gesù. Das ist eine Weltpremiere. Er gestaltet diesen Satz, den Ysaÿe „Obsession“ nannte, als Miniaturdrama: theatralisch und dämonisch, aber mit äußerster Klarheit und Gedankenschärfe.

    Das „Dies irae“, dieser Mönchsgesang vom Ende der Welt, zeigt, dass sich hier Abgründe öffnen. Doch Khachatryan opfert nichts dem Effekt, er geht der Sonate auf den Grund: musikalisch wie psychologisch. Und dann das: radikale Reduktion!

    Diese gezupfte Sarabande aus der vierten Sonate hat mit dem Illusionstheater der zweiten nichts gemein. Khachatryan betont den Minimalismus auch noch: Er demonstriert, wie aus der Lücke und der Leere eine Melodie entsteht.

    Die Violine darf singen

    Das ist paradoxe Kunst! Alles wird nur knapp angedeutet, zugleich aber erklingt der große Bogen, die gesangliche Linie.

    Khachatryan gibt jedem Satz ein eigenes Gesicht. Die Danse rustique aus der fünften Sonate lebt vom saftigen Vortrag. Khachatryan spielt sie mit glühendem, herzzerreißendem Ton, sehr leidenschaftlich und inständig.

    Die Violine darf singen, beinah schluchzen und romantisch schwelgen. Oder auch zart flüstern. Als wolle sie ein Geheimnis in die Luft hauchen.

    Khachatryan auf der Höhe seiner Kunst

    Sergey Khachatryan, mittlerweile 39 Jahre alt, ist auf der Höhe seiner Kunst angekommen. Die Wandlungsfähigkeit ist sein Trumpf. Und natürlich auch, dass ihm in puncto Intonation, Temperament und Klangcharakter kaum Grenzen gesetzt sind.

    Wenn man ihn auf Ysaÿes Instrument hört, hat man das Gefühl, dem legendären belgischen Virtuosen selbst zu begegnen.

    Meister der kontrollierten Extase

    Und dann wäre da noch die virtuose Hybris: In der dritten Sonate, der Ballade, die Ysaÿe für George Enescu komponierte, steigert Khachatryan die Virtuosität fast bis zum Irrsinn. Er wartet teilweise mit schrillen, grellen, geräuschhaften Tönen auf und reizt den psychischen Exzess dieser Musik schonungslos aus. Wir fliegen aus der Bahn.

    Man glaubt, nicht eine einzige, einsame Geige zu hören, sondern ein komplettes Orchester. Die Details aber bleiben immer klar und verständlich. Khachatryan ist ein Meister der kontrollierten Ekstase.

     

  • GRAMOPHONE MAGAZINE “YSAYE VI SONATAS” REVIEW: “A stunning set of Ysaÿe’s solo sonatas from Khachatryan, virtuosity and distinctive voice shine through”
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    By Rob Cowan, Gramophone Magazine
    The brilliant Armenian violinist Sergey Khachatryan treats us to yet another superb set of the Ysaÿe Solo Sonatas, vibrant, forceful, technically unsullied and played on Ysaÿe’s superb 1740 Guarneri del Gesù violin, which Khachatryan played from October 2010 to May 2022 (and which Isaac Stern played before him). Khachatryan focuses on the personalised character of each piece (dedicated to a different star violinist) much as Hilary Hahn does on her superb DG recording (Recording of the Month last August). Both deliver with maximum intensity but there are some significant differences, too. In the opening ‘Obsession’ movement of the Second Sonata – for Jacques Thibaud and based on the Prelude to Bach’s Third Solo Sonata – Khachatryan fires away at a faster tempo than does Hahn, affecting more of a swagger in the vehement response (which commandeers the ‘Dies irae’ motif). Khachatryan is slower, more doleful than Hahn in the ‘Malinconia’ second movement and opts for a razor-sharp attack in the Sonata’s ‘Les furies’ finale. Hahn comes close but is less audaciously confrontational.
    Both throw themselves at the Korngoldian ‘Ballade’ Third Sonata (for Enescu) but it’s Khachatryan who summons the more inclement emotional climate, at a marginally slower pace. The expansive ‘L’Aurore’ movement that opens the Fifth Sonata (for Mathieu Crickboom) draws a more vibrantly shaded performance from Hahn, who infuses the music with shapely phrasing and imaginative colouring. And so these two wonderful violinists hop on and off swings and roundabouts throughout the cycle but I’m at a loss as to which version I prefer. Both seem to me leaders in a recently crowded field.
    If you’ve already plumped for Hahn and don’t fancy investing in a second version, rest assured that you have a peach of a disc on your shelves. If you haven’t and you encounter Khachatryan’s disc first, you’d be just as well off with that, especially as he employs such a special instrument. He’s also the more forceful player and therein might lie the answer to a quandary. What’s for sure in my mind is that Ysaÿe himself would have been thrilled to hear either. Alternate them in the habanera finale to the Sixth Sonata (for Manuel Quiroga), Hahn sounding more improvisational, Khachatryan like a force of nature: both bow full-bodied multiple stops and achieve spot-on intonation throughout, and both are superbly recorded. So, over to you.
  • Ein grandios musiziertes Schostakovitch Konzert mit einem fabelhaften Geiger

    10.04.2024

    Von Michael Wruss – OÖNachrichten

    Das hat Sergey Khachatryan derart berührend und zugleich emotional intensiv fühlend umgesetzt und so die ausgedehnte Kadenz zum Innehalten den Höhepunkt voller Glücksgefühle gestaltet und damit das Publikum trotz der “schweren Kost” restlos begeistert. Das tat auch das Ulster Orchestra unter Daniele Rustioni, die Khachatryan perfekt in seinem traumtänzerischen Schwelgen begleiteten und zuvor mit Weberns Passacaglia op.1 und der vierten Symphonie von Johannes Brahms beeindruckten und die Variationen über einen feststehenden Bass aus wunderliche Art gestaltet.

  • Geiger Khatchatryan begeisterte im Brucknerhaus mit hinreißender Virtuosität

    10.04.2024

    Von Paul Stepanek – Oberösterreichisches Volksblatt

    Im Zentrum des Abends stand Dmitri Schostakowitschs 1. Violinkonzert op.77, das vom Solisten Sergey Khachatryan in jeder Phase sensationell interpretiert wurde. Denn einerseits hielt er die langen Melodiebögen des ersten (Nocturne) und dritten Satzes (Passacaglia, Andante) in intensiv emotionaler Spannung, andererseits verlieh er dem temperamentvoll-tänzerischen Charakter des Scherzos und der Burleske im zweiten und dem Final-Satz mitreißend virtuosen Schwung.

    Das Publikum tobte förmlich vor Begeisterung, wurde aber durch die Zugabe wieder zu still reflektierender Besinnung gebracht: Der gebürtige Armenier erinnerte mit einem tief berührend dahinfließenden „Klagelied“ der Violine offenbar an die Schicksalsschläge, die sein Volk bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder getroffen haben.

  • Sergey Khachatryan, le violoniste arménien est accueilli par le public bruxellois comme un véritable héros.

    03.04.2024

    Par Victoria Okada pour Classique News

    Son éblouissante interprétation du Premier Concerto pour violon de Max Bruch, acclamée par une ovation debout, est suivie de deux extraits des Sonates pour violon seul d’Eugène Ysaÿe en bis. C’est ainsi l’occasion de fêter un événement discographique de ce printemps : les Sonates d’Ysaÿe qu’il a enregistrées sur le violon Guarneri del Jesù, l’instrument sur lequel Ysaÿe lui-même a joué pendant de nombreuses années.

    Une chose est indéniable : le public est venu pour l’écouter lui, Sergey Khachatryan, premier grand prix au Concours Reine Elisabeth en 2005.
    Dès qu’il apparaît à la porte s’ouvrant sur la scène, des applaudissements bien nourris se font entendre dans la salle art déco (de 1929) pleine à craquer. Dès l’introduction, la sonorité à la fois chaleureuse et intensément pensive creuse les sillons dans la tonalité de sol mineur. La liberté et la rigueur y cohabitent, et tout au long du premier mouvement, ces deux éléments se côtoient, se dialoguent, s’opposent parfois, ou s’enlacent comme deux amoureux. Telle une pièce de théâtre, la musique narre, sous l’archet alerte de notre violoniste, une histoire dont chaque séquence est chargée d’une émotion qui lui est propre. L’expressivité est admirablement contrôlée, si bien qu’on n’entend une seule surexposition de notes. Quelques moments avec des touches sérieuses voire tragiques, comme si on faisait face à une décision cruciale et extrêmement grave, sont contrebalancés par l’Adagio infiniment tendre, gracieux et affectueux. Le chant est là, en envolée apaisante, sur un moelleux tapis orchestral. Le final est débordant de vie, mais le son et le phrasé sont toujours merveilleusement maîtrisés dans une structure solidement construite. Les moments d’élan et de repos sont subtilement dosés, dans un équilibre parfait. Sur un rythme entraînant, Khachatryan fait danser les notes avec une ardeur juvénile. Sa musicalité naturelle ne fait aucunement transparaître une très haute virtuosité qu’exige la partition pour son exécution. Une telle interprétation ne peut se solder que par un triomphe. Les auditeurs se lèvent les uns après les autres, des sifflements et des bravos fusent de partout.
    Le violoniste joue un premier bis, la 3e Sonate « Ballade » en ré mineur d’Eugène Ysaÿe. Comme dans son dernier disque, il la joue avec une infinie gravité et passion, dans une concentration prodigieuse. Un nouveau triomphe. Il revient et prend alors le micro. Il fait part de son émotion qu’il revit à chaque fois qu’il revient dans cette salle. Visiblement ému, il explique que dans les coulisses, il ressent la même sensation qu’il y a 19 ans, quand il attendait son tour pour jouer dans le Concours Reine Elisabeth. Un deuxième bis, toujours extrait d’une Sonate d’Ysaÿe, conclut la première partie du concert dans une atmosphère plus que chaleureuse.